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22 TEXTE
Es gibt keine feste Reihenfolge
GENIE
Ich weiß nicht, warum alle glauben, ich sei ein Genie. Ich glaube
nicht, daß ich ein Genie bin. Gestern habe ich ihnen gesagt: "Hört
zu ! Ich bin kein Genie ! Was für ein Genie soll ich denn sein ?"
Aber sie sagten: "So eins !" Ich sagte ihnen: "Was für
ein Genie dann ?!" Aber sie sagen nicht was für ein Genie, sie
sagen nur ich sei ein Genie, ein Genie. Ich glaube nicht, daß ich
ein Genie bin. Wo ich auch auftauche, sofort fangen alle an zu flüstern
und zeigen mit ihren Fingern auf mich. "Was soll der Quatsch ?",
sage ich. Aber sie lassen mich nicht aussprechen und bevor ich was tun
kann, greifen sie mich und tragen mich auf ihren Händen.
WUNDERTÄTER
Kennst du die Geschichte von dem Wundertäter, der keine Wunder tat
?
NACKT
Meine Mutter brachte mich auf die Welt und legte mich ins Wasser. Ich
trieb. Irgendeine Art Fisch kreiste um mich herum. Ich fing an zu heulen.
Der Fisch fing auch an zu heulen. Plötzlich sahen wir Haferbrei an
der Wasserober-fläche treiben. Wir aßen den Haferbrei und fingen
an zu lachen. Wir waren außer uns vor Freude. Wir trieben stromabwärts
und trafen einen großen Krebs.Er hielt eine Axt in der Hand. Hinter
dem Krebs schwam ein nackter Frosch. "Warum bist du die ganze Zeit
nackt ?", sagte der Krebs, "schämst du dich nicht ?"
"Kein Grund zum Schämen", antwortete der kleine Frosch,
"Warum sollen wir uns schämen für den guten Körper,
den die Natur uns gegeben hat, wenn wir uns nicht schämen für
die schlechten Handlungen, die wir selbst tun ?"
"Was du sagst ist richtig", sagte der Krebs, "Ich weiß
nicht was ich dir antworten soll. Ich schlage vor, wir fragen einen Menschen,
weil Menschen intelligenter sind als wir. Wir sind nur intelligent in
Märchen, die Menschen über uns schreiben, sodaß selbst
da es letztendlich die Menschen sind, die intelligent sind und nicht wir."
Aber in diesem Moment sah der Krebs mich und fragte: "Muß man
sich schämen für seinen nackten Körper ? Du bist ein Mensch,
antworte uns !"
GEBURT
Ich will erzählen, wie ich geboren wurde und wie sich bei mir die
ersten Anzeichen von Genie bemerkbar machten. Mein Vater wollte, daß
ich genau am ersten Januar geboren werde. Er hatte ausgerechnet, daß
die Empfängnis am ersten April stattfinden müsse. An jenem Tag
kam er zu meiner Mutter mit dem Vorschlag, ein Kind zu zeugen. Meine Mutter
freute sich riesig. Doch mein Vater war zum Scherzen aufgelegt und konnte
sich nicht verkneifen, zu sagen: "April, April !" Sie war schrecklich
gekränkt und ließ ihn an diesem Tag nicht mehr an sich ran.
Wie sehr mein Vater auch tobte, es war nichts zu machen. Er mußte
warten bis zum nächsten Jahr.
...Ich wurde zum ersten Mal geboren am 14.Oktober 1970.
...Ich war eine Frühgeburt.
...Ich wurde 7 Wochen zu früh geboren.
Mein Vater geriet derart in Wut, daß mich die Hebamme vor Schreck
wieder da hineinzustopfen begann, wo ich gerade herausgekommen war. Aber,
wie sich herausstellten sollte, nicht dahinein wo ich her gekommen war.
Meine Mutter schrie, ein fürchterliches Chaos ging los, bis die Ärzte
schließlich herausfanden, was passiert war und sie meiner Mutter
eine gute Portion Englischsalz verabreichten. Sie bekam Durchfall, und
so wurde ich zum zweiten Mal geboren, und zwar am 17.Dezember. Mein Vater
rief: "Das kann man doch keine Geburt nennen, das ist doch noch gar
kein Mensch. Entweder er wird wieder hineingestopft oder in den Brutkasten
gesetzt." Also wurde ich in den Brutkasten gesetzt.
...Ich verbrachte 6 Wochen im Brutkasten.
...Mein echter Geburtstag ist am 1.Dezember.
...Ich habe das gleiche astrologische Zeichen: Schütze.
Nach 2 Wochen wurde ich herausgenommen. Das geschah genau am 1.Januar.
Auf diese Weise kam ich ein drittes Mal zur Welt. Der 1, Januar gilt fortan
als mein Geburtstag.
Ich wurde mehrmals geboren. Das ist lange her, etwa rund 1905 in St.Petersburg,
Rusland.
BRUDER
Ich stelle mir vor ich bin mein Bruder.
Ich habe einen Schnurrbart. Und ich bin reich.
Ich ziehe meine besten Kleider an und gehe ins Theater.
Ich stehe rum mit wichtigen Leuten.
Und ich sage:
"Jeder Mann muß einen Schnurrbart tragen."
Ich bettel nicht um Geld. Ich habe es.
ZAHLEN
Omnia in numeris sita sunt.
(In Zahlen ist alles verborgen)
1. Die Zahlenreihe beginnt mit der Zwei.
2. Die Eins ist keine Zahl. Die Eins ist die erste und einzige Vollkommenheit.
3. Die erste Menge, die erste Zahl und die erste Abweichung von der Vollkommenheit
ist die Zwei. (Pythagoras)
4. Stellen wir uns vor, die Eins sei die erste Zahl.
5. Die neue Eins unterliegt dem Gesetz der allgemeinen Zahlen.
6. Das Gesetz der allgemeinen Zahlen ist das Gesetz der Massen.
7. Das Gesetz des Einfachen ist falsch - ein solches Gesetz gibt es nicht.
Es gibt nur das Gesetz der Massen.
8. Das Gesetz der großen und kleinen Zahlen ist gleich. Der Unterschied
ist rein quantitativ.
9. Mensch, Wort und Zahl unterliegen dem ein und demselben Gesetz.
10.Ein Mensch denkt logisch, viele Menschen denken fließend.
11.Ich bin Einer, aber ich denke fließend.
HÖREN & SEHEN
Ich habe aufgepasst meine Ohren nicht zu schließen.
Alle schlossen ihre Ohren, nur ich nicht.
Und darum bin ich der einzige, der alles gehört hat.
Ich habe auch kein Stück Stoff vor meine Augen gehalten, so wie alle
anderen.
Und darum habe ich alles gesehen.
Ich bin der einzige, der alles gesehen und gehört hat.
Aber leider habe ich nichts davon verstanden.
Ich kann mich nicht einmal erinnern, was ich gesehen und gehört habe.
WISSENSCHAFT
Laßt uns anfangen.
Laßt uns im Kreis sitzten.
Die Türe zur Erkenntnis werde ich öffnen für jeden.
Die Wissenschaft macht vergleichbar, was unvergleichbar ist.
Die Wissenschaft reduziert alles auf abstrakte Mengen.
Die Wissenschaft ist nichts ohne die Zahlen.
Laßt uns anfangen mit den Zahlen.
Die 3 sieht aus wie ein Herz, das entzwei geschnitten ist:Seid ihr einverstanden
?
FETTE MÄDCHEN
Rasiert eure Schnurrbärte !
Rasiert euer Achselhaar !
Ihr seid keine Ziegen, ihr seid keine Katzen !
Ihr seid keine Pilze, die rumstehen mit Hüten !
Oh, ihr Damen !
Lüftet eure Hüte ein wenig !
Oh, meine Schönheiten !
Schiebt eure Röcke hoch !
Jetzt, du, Baby !
Setz dich auf mich !
Mädchen, schneidet ab euer Haar !
Ihr seid keine Zebras, daß ihr rumrennt mit Schwänzen !
Ihr fetten Mädchen !
Ladet uns ein in die Ferien !
SIEBEN ODER ACHT
Mir ist etwas erstaunliches passiert:
Plötzlich vergaß ich, was zuerst kam: 7 oder 8. Ich ging zur
Nachbarsfrau und fragte sie, was sie davon hält. Ich war höchst
erstaunt, als sie mir sagte, sie könne sich auch nicht erinnern an
die Zahlenreihe. Sie erinnerte sich an 1,2,3,4,5 und 6, aber sie hatte
vergessen, was danach kam. Wir gingen in den Laden unten an der Ecke und
fragten die Frau an der Kasse. Die Frau an der Kasse lächelte betrübt
und sagte: "Ich glaube die 7 kommt nach der 8 in den Fällen,
in denen die 8 nach der 7 kommt." Wir dankten der Frau an der Kasse
und rannten fröhlich aus dem Laden. Aber dann, als wir über
ihre Worte nachdachten, verstummten wir wieder, weil sich herausstellte,
daß ihre Worte keinen Sinn ergaben.
Was tun ? Wir gingen in den Park und zählten Bäume. Aber nachdem
wir 6 erreicht hatten, stoppten wir und bekamen Streit. Wir stritten eine
ganze Weile, aber glücklicherweise fiel ein kleiner Junge von einer
Parkbank und brach sich den Kiefer.
MOMENT
Es ist ganz schön was, wenn du sagst: "Präge dir ins Gedächtnis
ein, was genau in diesem Moment passiert." Beispiel: Eins,Zwei,Drei
! Nichts passiert ! Ich habe mir einen Moment ins Gedächtnis eingeprägt,
in dem nichts passiert ist. Ich sprach darüber mit der Nachbarsfrau.
Ihr gefiel das sehr und wir verbrachten den ganzen Tag zählend: Eins,Zwei,Drei
! Und wir stellten fest, daß nichts passiert ist.
Bitte nehmt zur Kenntnis, daß ich der Erfinder dieser außergewöhnlichen
Methode bin, ins Gedächtnis zu prägen, was in unserem Jahrhundert
passiert. Denn ein Jahrhundert besteht aus Momenten.
POSE
Schaffe dir eine Pose und hab den Charakter, sie durchzuhalten. Früher
einmal hatte ich die Pose eines Inders, dann die von Sherlock Holmes,
dann die eines Yogi, und heute die eines Oilwrestlers. Diese letzte Pose
möchte ich nicht behalten. Ich muß mir eine neue ausdenken.
DER GEHÄNGTE
Wir sagen, das bin ich.
Ich schenke dir den Schlüssel
damit du sagst: Ich.
Wie meine Großmutter erzählte, erhalte ich den Schlüssel,
wenn ich die Blüte der Alraune finde, die nur einmal im Jahr blüht.
Aber wo wächst diese Pflanze ? Sie wächst im Wald unter einem
Baum, der auf dem Kopf steht. Du gehst durch den großen, schlafenden
Wald, findest aber keinen einzigen Baum, der auf dem Kopf stehend gewachsen
wäre. Wenn du in den Wald gehst, schau vorher zum Fenster hinaus,
wie das Wetter ist. Ich schaue zum Fenster hinaus und sehe, dort beginnt
die Straße, dort beginnt das frei Feld, dort steht der Baum.
Der Himmel dreht sich um und fällt auf die Erde; Erde und Wasser
fliegen auf in den Himmel; die ganze Welt steht auf dem Kopf. Wenn du
das siehst, dann entdeckst du die Blüte, erblühend in deiner
Brust. Ich sage: das ist das Ende der alten Welt, ich habe eine neue Welt
gesehen.
GAST
Wenn ich jemand sehe, will ich ihm sofort in die Fresse schlagen. Es tut
so gut, jemandem in die Fresse zu schlagen. Ich sitze zu Hause in meinem
Zimmer und tue gar nichts. Irgendjemand kommt vorbei um mich zu besuchen.
Er klopft an die Türe. Ich sage: "Komm rein." Er kommt
rein und sagt: "Hallo. Schön, daß du zu Hause bist."
Ich biete ihm eine Tasse Tee an. Der Gast nimmt mein Angebot an, setzt
sich an den Tisch, trinkt den Tee und fängt an über irgendetwas
zu reden. Ich tue so, als ob ich mit größtem Interesse zuhöre,
nicke mit dem Kopf, ooh und ahh, hebe meine Augen in Erstaunen und lache.
Der Gast, geschmeichelt von meiner Aufmerksamkeit, läßt sich
mehr und mehr gehen.
Ich fülle in aller Ruhe seine Tasse mit kochendem Wasser und schütte
ihm das Wasser ins Gesicht. Er springt auf, schreiend. Ich sage: "Ich
habe keine Freundlichkeit mehr in meinem Herz. Hau ab !"
ZEIT
1918 haben sie wegen der Revolution den Kalender verändert. Sie haben
13 Tage dazugezählt. Stell dir vor, ich wäre tatsächlich
am 17.Dezember geboren. Dann wäre ich also am 30.Dezember geboren;
das ist fast der erste Januar, aber nicht ganz. Oder ich wäre am
14.Januar geboren, als ich den Brutkasten verlassen habe. Das heißt:
viermal Geburtstag.
Wenn man die Zahlen des Geburtstagsdatums addiert, kann man die Lebenszahl
herausfinden, dien Leben bestimmt.
Welchen der vier Geburtstage nehme ich ?
Kann man es eine Geburt nennen, wenn du noch im Brutkasten liegst ?
Nimmst du den Kalender vor oder nach der Revolution ?
Kannst du deinen Eltern glauben, was sie dir über deine Geburt erzählt
haben ?
ZUCKER & SALZ
Ich werde jetzt Staub aufwirbeln.
Ich werde über den Balken laufen und ich werde nicht zittern.
Ich werde am Abgrung entlang rennen und ich werde nicht fallen. Ich esse
Salz und ihr eßt Zucker.
Ich habe meinen Gemüsegarten und Obstgarten.
Meine Ziege grast in meinem Garten.
Ein Fellhut liegt in meinem Vorratsschrank.
Ich werde es machen wie ich es will.
Ihr seid bloß Rauch für mich.
NAME
Wenn man die Vokale von meinem Namen übersetzt in Zahlen, findet
man raus, daß die Zahl meiner Seele 11 sein könnte. Hängt
davon ab, wie man zählt.
e-5 i-9 o-6 i-9 a-1 e-5 a-1 i-9 a-1 a-1 i-9 a-1 a-1 ist 58, 5 und 8 ist
13, 1 und 3 ist 4, 4 ist nicht 11. Über 11 als Zahl der Seele steht
geschrieben:
"Sie folgen dem spirituellen Weg bereits eine lange Zeit, möglicherweise
länger als eine Inkarnation. Durch ihre spirituelle Entwicklung haben
sie viel gelernt über die Mysterien von Leben und Tod."
Ich habe meinen Namen merfach geändert:
Sardan, Dandan, Zatocnik, Harmonius, Professor K.J.Schusterling, Trubockin,
Toporyskin, Vinny Vaseline, Limbo Jack.
Welchen der Namen soll ich wählen, um die Zahl meiner Seele herauszufinden
?
Nehme ich das lateinische Alfabeth oder das Cyrillische ?
ESTHER
Du kannst denken es ist ein Witz, aber vor dir habe ich nur einmal richtig
geliebt. Das war Esther - ins Russische übersetzt: Der Stern. Ich
liebte sie sieben Jahre lang. Sie war für mich nicht nur die Frau,
die ich liebe, sondern noch etwas anderes, das in alle meine Gedanken
und Handlungen einging. Ich unterhielt mich mit Esther auf Nicht-Russisch
und schrieb ihren Namen mit lateinischen Buchstaben: ESTHER. Dann macht
ich aus ihnen ein Monogramm, und heraus kam:Ich nannte es das Fenster,
durch das ich in den Himmel schaue und den Stern sehe. Den Stern nannte
ich Paradies, wenn auch ein sehr fernes.
Du siehst mich durchs Fenster:
Du siehst mich
in der Türe:
FEE
Ich bin ein kleiner Mann.
"Ich bin ja mit allem einverstanden, nur daß ich gern ein kleines
bischen größer wäre."
Plötzlich steht eine Fee vor mir.
"Was möchtest du ?", fragt die Fee.
Ich stehe da und kann vor Schreck nichts sagen.
"Nun ?", sagt die Fee.
Ich stehe da und schweige.
Die Fee verschwindet.
Ich fange an zu weinen und nage an meinen Nägeln.
LIED
Mein Vater hat Spaß mit Namen.
Er nannte mich nach einer indonesischen, antikolonialen Muslimbewegung:
Gerakan Indonesia.
Ger-indo.
Ihm gefiel deren Hymne:
Hade, goreng, nasib urang sarerea, di jaman pancaroba
(gut und schlecht, unser gemeinsames Schicksal, in dieser Übergangszeit)
Ulah ngalajur nafsu, kuduh penkuh kuat iman, nandang nandang nu Kawasa
(folge nicht dem Bösen, wir müssen stark und standhaft sein,
folge dem Willen Allahs)
Ditangtayungan, Blanda Japan yang ta berbudi
(Holland und Japan tragen die Schuld)
FLIEGEN
Was andere große Mühe kostet, schaffe ich mit links.
Ich kann sogar fliegen.
Aber das erzähle ich nicht, weil ihr es sowieso nicht glaubt.
ZAUBERER
Folgendes habe ich mir gestern ausgedacht:
Es geht über einen Wundertäter, der in unserer Zeit lebt und
keine Wunder tut.
Er weiß, daß er ein Wundertäter ist und lauter Wunder
tun könnte, aber er macht es nicht.
Er wird aus seiner Wohnung gewiesen und weiß, daß er nur mit
dem Finger zu winken brauchte, um die Wohnung zu behalten, aber er macht
es nicht, er zieht ergeben aus und sucht in einer Scheune am Stadtrand
Unterschlupf. Diese Scheune könnte er in ein schönes Ziegelhaus
verwndeln, doch er macht es nicht. Er bleibt in der Scheune wohnen und
stirbt letzten Endes, ohne im Leben ein einziges Wunder getan zu haben.
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