ICH-AG endet im Totalausverkauf der Seele

Beeindruckende tragikomische Parabel über die Marktwirtschaft im Kultur- und Werkhof Nauwieser 19

Saarbrücken. 15 Jahre besteht der Kultur- und Werkhof Nauwieser 19 nun.
Da fand es der Verein doch einmal an der Zeit, über das Thema Arbeit nachzudenken: Um daran zu erinneren, dass es bei seinem gleichnamigen Projekt um die Förderung selbstbestimmten Arbeitens und Handelns geht. Deshalb lud er am Freitag zu dem Theaterstück "Ich bin eine Aktie" ins Theater im Viertel ein, wo als alleiniger Darsteller mit Gerindo Kamid Kartadinata ein Absolvent der Amsterdamer Mimeschool agierte, der das Solo auch selbst geschrieben hat.
Auf der kargen Bühne: Das Ich - ein junger Anzugträger, dynamisch und erfolglos. Ein Ich-AG-Unternehmer, der vom Stress zwischen Telefon und Laptop langsam aufgefressen wird. Und per Video (Martin Hansen) auf Leinwand projiziert, lauert in seinem Nacken die Ich-eigene Jahres-Hauptversammlung, singt das hohe Lied vom Wirtschaftswachstum - und wartet auf Ertrag: Sechs Klone seiner Selbst, einander widersprechende und von Kartadinata als differenzierte und groteske Typen angelegte Facetten der eigenen Persönlichkeit, die das Ich mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen und gebetsmühlenartig herunter geleierten Managementstrategien permanent unter Druck setzen.Ich übt positives Denken und wagt sich tollkühn an die Börse, denn ich ist klein, übersichtlich, limitiert und hoch motiviert. Aber seine Selbstvermarktung ist den Klonen noch nicht kaltschnäuzig genug: "Schlanke Hierarchie" lautet das Gebot des Siegers; die Weicheier werden aus dem Vorstand wegrationalisiert, bis nur noch perverse Geldgeilheit regiert. Stark, wie deren fatale Folgen hier unter der Regie von Luc Boyer ins Bild gesetzt werden: Ich frisst eine Banknote, die ihm übel aufstößt - es erbricht sie wieder: Ich ist gescheitert. Zum Schluss betreibt es den Totalausverkauf, prostituiert seine Arbeitskraft und zieht buchstäblich das letzte Hemd aus. Vergebens. Ich ist ein Ladenhüter, der den brutalen Gesetzen der Marktwirtschaft nicht gewachsen ist. Eine intelligent inszenierte und überzeugend gespielte, tragikomische Parabel über den Einfluss marktwirtschaftlicher Erfordernisse auf das menschliche Denken und Verhalten.


Saarbrücker Zeitung - 06.10.05